Therapieoptionen
Vorab: Es gibt nicht die eine Therapie des Mantelzelllymphoms. Schon deshalb, weil es nicht das eine Mantelzelllymphom gibt. Neben der hauptsächlichen Form, dem "klassischen Mantelzelllymphom" (cMCL), gibt es eine "indolente", langsamer verlaufende Variante (iMCL), aber auch aggressivere Verlaufsformen. Während die letzteren oft bereits molekulargenetisch vom cMCL abweichen (etwa durch die Existenz blastischer Zellen oder einer p53-Mutation), rechtfertigt sich die Bezeichnung "iMCL" oft nur durch einen klinisch günstigen Verlauf.
Trotz seiner unterschiedlichen Varianten ist das Mantelzelllymphom relativ selten. Viele Onkologen haben noch nie einen Patienten mit MCL behandelt. Sie informieren sich daher anhand der aktuellen "Leitlinien" zu dieser Erkrankung. Lesenswert übrigens auch für Patienten.
Weil sich eine gute Therapie aber auch nach den Erfahrungen des behandelnden Arztes richtet, sollte die Behandlung auf jeden Fall mit einem Spezialisten an einer Universitätsklinik abgestimmt werden. Für welche(n) behandelnde(n) Ärztin/Arzt man sich letztlich aber auch entscheidet: es geht hierbei nicht nur um fachliches Vertrauen, sondern ebenso um das Gefühl, mit seinen Wünschen und Sorgen ernst genommen zu werden. Gerade, weil es für die meisten Fälle - in der Erstlinie, aber auch im Rezidiv - zwar etliche gute, aber nicht eine eindeutig beste Behandlungsmöglichkeit gibt, ist es ein zentrales Anliegen des gelingenden Arztgesprächs, gemeinsam mit dem Patienten herauszufinden, welcher (weitere) Behandlungsweg für ihn individuell geeignet ist. Um die letztlich gewählte Therapie nicht nur körperlich, sondern sie auch psychisch gut zu überstehen, muss man schon überzeugt sein, das Richtige zu tun.
Und hierfür ist es wichtig zu wissen, dass es
neben den "herkömmlichen" Therapieoptionen, die von behandelnden Onkologen vorgeschlagen werden, durchaus weitere Behandlungsmöglichkeiten gibt. Oft ist es jedoch in diesen Fällen nicht ganz so einfach, an ein bestimmtes Medikament bzw. eine Medikamentenkombination zu kommen. Manchmal wird von behandelnden Ärzten auch nur die im folgenden erstgenannte Alternative als alternativlos 'verkauft' bzw. von vornherein nur ein Medikament/eine Medikamentenkombination vorgeschlagen, die im Rahmen dieser Alternative problemlos zur Verfügung gestellt werden kann. (Die Alternativen 2-5 sind für alle Beteiligten z.T. erheblich arbeitsaufwändiger.)
1. Der Arzt verschreibt ein für MCL in der Erstlinie/Zweitlinie/Drittlinie von der Bundesarzneimittelbehörde genehmigtes Medikament. Die Kasse zahlt.
2. Härtefallprogramm (Compassionate Use): unter bestimmten Bedingungen vermittelt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Medikamente, die bereits im Zulassungsprozess für MCL stehen (etwa: Pirtobrutinib). Die Arzneimittelhersteller zahlen (bis zur Zulassung) das Medikament, die Kasse die Behandlungskosten.
3. Teilnahme an einer Studie: Vor allem für Patienten mit besonderen Krankheitsmerkmalen (etwa: tp53-Mutationen, blastische oder pleomorphe Histologie) besteht die Option, sich im Rahmen von Studien mit Medikamenten (etwa: Nemtabrutinib) behandeln zu lassen, die noch vor einer offiziellen Zulassung stehen (für die ebendiese - erfolgreich durchgeführte - Studien die Voraussetzung sind). Auch Medikamente bzw. Medikamentenkombinationen, die nur im Off-label-use verschrieben werden können und für deren Kosten Krankenkassen oft nicht oder erst nach gerichtlichen Auseinandersetzungen aufkommen, sind im Rahmen von Studien unentgeltlich erhältlich. Dies gilt gewöhnlich auch für eine Anschlussmedikation über die Beendigung der Studie hinaus.
Oft aber ist der Zugang zu Studien allein schon dadurch eingeschränkt, dass behandelnde Onkologen selbst nur Kenntnis von Studien haben, die von ihnen selbst bzw. an ihrer oder einer 'befreundeten' Institution durchgeführt werden. Tatsächlich gibt es aber eine weit größere Zahl von aktuellen Studien zu MCL/first line und r/r MCL, sowohl in Deutschland als auch weltweit.
Datenbanken mit einer Auflistung aktueller/bereits durchgeführter Studien zu Lymphomen und Leukämien sind jedoch zu umfangreich, um sie auf eine möglicherweise geeignete Option hin zu durchsuchen. Eine entsprechende Suchfilterfunktion (mit erheblichen Schwächen) bietet die Website der Lymphoma Coalition an. Wir schlagen vor, unter "Search by interest" "Country: Germany" und "Status: recruiting" einzutragen und dann 'auf eigene Faust' weiterzusuchen. Weitere Filtereinstellungen wie "Subtypes" (hier wäre "Mantle Cell 1st Line" bzw. "Mantle Cell Relapse/Refractory" einzutragen) "Phase" oder "Therapy or Drug" existieren, können aber nicht zuverlässig eingesetzt werden.)
Die Teilnahmemöglichkeit an einer Studie unterliegt jeweils spezifischen Beschränkungen. Diese werden in der offiziellen Ausschreibung der jeweiligen Studie im einzelnen aufgeführt.
Hierfür müssen die besonderen Bedingungen zur Teilnahme an einer bestimmten Studie erfüllt sein.
4. Off-Label-Use: Der Arzt verschreibt ein von der Bundesarzneimittelbehörde nicht für MCL, etwa: Zanubrutinib - oder für MCL, aber noch nicht zum entsprechenden Zeitpunkt, etwa: Ibrutinib (erst in der Zweitlinie), genehmigtes Medikament. Die Kasse zahlt nach Absprache, oft aber erst nach vom Arzt eingereichten Gutachten oder nach Gerichtsverfahren.
Eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse erfolgt im Wesentlichen nur in folgenden Fällen: Wenn eine positive Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses G-BA (der Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesens) vorliegt; wenn eine Kostenübernahmeerklärung nach § 2 Abs. 1a SGB V erteilt wird; wenn das Arzneimittel im Rahmen einer vom G-BA nicht widersprochenen klinischen Studie nach § 35c SGB V eingesetzt wird oder wenn die folgenden von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts definierten drei Kriterien vorliegen:
a) Notwendige Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung;
b) Fehlen einer anderen Therapie und
c) aufgrund der Datenlage begründete Aussicht, dass mit dem Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
Sollte die Kasse nicht zur Kostenübernahme verpflichtet werden, müssen die teilweise erhebliche Kosten individuell getragen werden.
Im Einzelfall, etwa für dauerhaft im Ausland lebende Ex-Pats oder Dauerurlauber, kommt auch - falls dort verfügbar - ein Kauf des Medikaments im Nicht-EU-Ausland, etwa in der Türkei, in Südkorea, in Indien oder China in Betracht. Die Kosten betragen dort oft weniger als 10% des entsprechenden Arzneimittelpreises in Deutschland. Allerdings sollte beim Kauf darauf geachtet werden, dass es sich um Originalpräparate oder wirkstoffgleiche Generika handelt. Sollten im Ausland erworbene Arzneimittel wieder nach Deutschland eingeführt werden, sind Zollbestimmungen zu beachten. Es darf etwa nur eine Medikamentenmenge mitgeführt werden, die einen etwa 3-monatigen Eigenbedarf deckt. Ein entsprechendes Schreiben bzw. das Rezept des (deutschen) Arztes sind mitzuführen.
5. Individueller Heilversuch: der Arzt verschreibt ein noch nicht zugelassenes Medikament, das mit begründeter Aussicht auf Erfolg eingesetzt wird. Für die Kostenübernahme gibt es keine eigenständige Regelung. Sie muss im Einzelfall zwischen den Beteiligten – Arzt, Patient, Firma und Krankenversicherung – geklärt werden. Oft müssen die Kosten des Medikaments individuell getragen werden.
Da individuelle Heilversuche nur in Ausnahmefällen und jeweils nur für einzelne Patienten durchgeführt werden dürfen, müssen Ärzte und Forschende des Unternehmens jedes Mal neu entscheiden, ob sie dem Wunsch nach Bereitstellung ihres Medikaments für einen individuellen Heilversuch entsprechen können.